Legende Bild rechts: "Entdecken und wahrnehmen" (Foto Wolfgang Hörer)
Unterwegs nehme ich ständig neue Eindrücke wahr. Die allermeisten sind nicht spektakulär. Es sind Kleinigkeiten, auf die ich sonst vielleicht gar nicht achten würde, doch beim mehrtägigen Pilgern stellt sich eine vertiefte Wahrnehmung und Achtsamkeit meist ganz von selbst ein. Ich habe Zeit, Eindrücke und Erfahrungen zu bedenken und zu verinnern.
Ich achte auf die Schönheit der Natur. Auf die vielen verschiedenen Blüten, die im Frühjahr den Wegrand säumen und auf den Bergwiesen blühen, auf die Früchte des Herbstes. Auf Wolkenformationen, auf die Tiere in Wald und Feld und das Spinnennetz in der Hecke. Ich habe Zeit, alles mit meinen Sinnen intensiv wahrzunehmen und darin die Handschrift des Schöpfers zu entdecken.
Oft bleibe ich stehen, bestaune eine alte Brücke, ein besonderes Gebäude, ein Kreuz am Wegrand, bin fasziniert von der Landschaft und dem weiten Blick. Ich möchte diese Bilder festhalten, sie er-innern, in meinem Herzen und Hirn bewahren. Nicht selten regen mich diese Eindrücke dazu an, sie als Symbole für mein Leben und Erleben zu interpretieren.
Einige Beispiele:
Als Pilger gehe ich immer wieder über Brücken. Im Mittelalter waren Flüsse für Pilger schwer überwindbare Herausforderungen. Brücken verbinden ein Ufer mit dem anderen.
Wo habe ich in meinem Leben Brücken überschritten, Abgründe überwunden? Wer oder was hat mir dabei geholfen? Wer war mir eine Brücke? Wo und wann? Wo könnte ich für andere Brückenfunktion übernehmen?
Wer Brücke sein will, muss sich darüber klar sein, dass er von beiden Seiten betreten werden kann.
(Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers Detelf Willand aus: Der Weg eine Pilgerreise nach Santiago)
Sie liegen vor mir. Ich habe Mühe, sie zu bewältigen. Ich genieße die Genugtuung, wenn es geschafft ist. Anstrengende Wegphasen in meinem Leben? Wie habe ich sie überwunden?
Der Jakobsweg ist oft begrenzt durch Trockenmauern, Weidezäune und Stacheldraht.
Wodurch war oder ist mein Lebensweg begrenzt? Welche Grenzen geben mir Sicherheit? Wie grenze ich mich ab? Welche Grenzen möchte ich überschreiten
Faszination der Weite, der Vielfalt. Sehnsucht nach Weite in meinem Leben? Wodurch ist mein Horizont begrenzt? Kann ich über den Horizont hinausschauen?
Auf dem Jakobsweg folge ich der Muschel. Sie ist in den verschiedenen Ländern unterschiedlich stilisiert. Meistens ist sie eindeutig angebracht. Ich kann ihr folgen. Manchmal fehlt sie. Ich muss den richtigen Weg suchen. Ich brauche eine Karte, um mich zu orientieren.
Welchen Wegzeichen folgte ich in meinem Leben? Welchen Menschen? Wann führten sie mich auf gute Wege? Wann auf Umwege? Woran orientiere ich mich, wenn Wegzeichen fehlen?
Was besagt der Satz Der Weg ist das Ziel, wenn ich mich verlaufen habe?
Kreuz am Weg
Das Kreuz ein Zeichen des Todes?
Oder unwiderstehlicher Macht und
Siegesfreude?
Viele erschrecken vor dem Kreuz,
spüren Zwang und Vergewaltigung.
Wie viel Leid brachte das Kreuz, brachten
christliche Kreuzritter und Hexenverbrenner!
Ist das aber wirklich das Kreuz des Jesus
Christus?
Das spricht eine andere symbolische
Sprache: Vater vergib ihnen, denn sie
wissen nicht, was sie tun.
Damit wird die Religion der Rache
überwunden und das Gesetzt der Vergeltung
außer Kraft gesetzt. Im Augenblick größter
Dunkelheit und Leere, im Schweigen findet
Jesus tiefstes Gottvertrauen.
Seitdem steht das Kreuz für den Gott, der die
Niedergeschlagenen aufrichtet und den
Ohnmächtigen hilft. Es ist Einadlung zu
Versöhnung.
Aus: Von Osten und Westen von Norden
und Süden. Ökumenische Pilgerwege,
missio Aachen, 2000, 26.
Immer wieder stehen am Wegesrand Kreuze, Kreuze in ganz verschiedener Gestalt. Was bedeutet mir das Kreuz? Welche Gedanken und Erinnerungen weckt es in mir? Welche Kreuze musste ich in meinem Leben tragen? Was ist daraus geworden?
Am Fuß vieler Kreuze haben Pilger Steine abgelegt. Welche Last, kann und will ich ablegen? Welches Kreuz muss ich weiter tragen?
Ich nehme mir Zeit, das was mich belastet einzeln anzuschauen und frage mich:
Welche Last habe ich mir selbst auferlegt? Muss ich sie unbedingt tragen?
Welche haben mir andere zugemutet? Kann und will ich sie tragen?
Welche Last möchte ich gern los sein, kann sie aber nicht abschütteln, weil sie zu mir gehört?
Wie kann ich lernen, mit ihr zu leben?
Grenzsteine
Der Jakobsweg führt durch verschiedene Länder. Immer wieder überschreite ich Grenzen. Welche Grenzerfahrungen prägen mein Leben? Welche Erfahrungen habe ich mit dem Tod als Grenze des Lebens?
Die Grenze des Menschen ist
stets das Einbruchstor Gottes.
Gertrud von le Fort, Quelle unbekannt
Zu den Besonderheiten des Pilgerns als meditatives Gehen gehört, dass ich dabei fast wie von selbst anfange, über mich nachzudenken. Die Herausforderungen, denen ich mich ausgesetzt habe, führen dazu, dass ich mich achtsamer wahrnehme und intensiver spüre. Ich fange an, mich zu reflektieren. Erinnerungen werden wach, längst vergangene Situationen wieder lebendig. Ich entdecke mich im Dialog mit mir selbst.
Vergesset nicht
Freunde
wir reisen gemeinsam
besteigen Berge
pflücken Himbeeren
lassen uns tragen
von den vier Winden
Vergesset nicht
es ist unsere
gemeinsame Welt
die ungeteilte
ach die geteilte
die uns aufblühen lässt
die uns vernichtet
diese zerrissene
ungeteilte Erde
auf der wir
gemeinsam reisen
Rose Ausländer,
Quelle unbekannt
Auf dem Pilgerweg begegne ich immer wieder anderen Menschen, Mitpilgerinnen und Mitpilgern, einheimischen Männern und Frauen. Ich nehme sie in ihrer Verschiedenheit wahr. Manche signalisieren, dass sie keinen Kontakt wünschen, die meisten sind aber sehr offen gegenüber anderen.
Ich teile mit ihnen wichtige Informationen, achte auf ihr Befinden. Wir helfen einander.Ich gehe ein Stück des Wegs mit Menschen, die mir fremd sind. Manchmal ergeben sich überraschend schnell intensive persönliche Gespräche. Wir erzählen uns einen Teil unserer Lebensgeschichte. Wir haben Zeit dafür. Ich erkenne mich im Spiegel der anderen.Oft erschweren Sprachbarrieren das Gespräch oder lassen es gar nicht zu. Manchmal aber staune ich, wie viel Verständigung auch ohne Worte möglich ist.
BEGEGNEN
sich annähern
begegnen
einander wahrnehmen
begegnen
aufeinander hören
begegnen
einander verstehen
begegnen
Vorurteile abbauen
begegnen
füreinander einstehen
schwierige Wege
erfordern Weggefährten
Denkanstoß am Fränkisch -
Schwäbischen Jakobsweg
in der Nähe von Heuchlingen
Wir trafen auf dem Weg eine Frau. Sie zählte mit ihren Fingern so wie Kinder zählen, wenn sie gerade anfangen zu rechnen. Neugierig fragten wir nach. Sie sagte: Ich halte wichtige Erfahrungen in einer japanischen Versform fest. Dazu muss ich keine Dichterin sein und keine Reime erfinden. Ich zähle die Silben. Haiku heißt diese Gedichtform. Sie hat drei Zeilen die erste und dritte Zeile sollen fünf Silben haben, die mittlere sieben. Sie haben es ja gesehen, dass ich zum Zählen die Finger gebrauche das hilft mir, bei den Worten zu bleiben.
Sie schenkte uns einige Haiku-Kostproben
Camino santo Sonne in der Höh’
Blumen wachsen in den Weg Schwer ist’s dann ins Tal zu gehen
Lavendel duftet Manchmal will’s der Weg.
Wieder schwand ein Jahr Über den Tobel
Und ich trage immer noch Von der Wurzel getragen
Pilgerhut und - schuh Trägt uns die Brücke
Die folgende Übung dient dazu, besondere Eindrücke und Erfahrungen zu ver-innern.
Eindrücke verankern
Ich setze mich bequem hin, schließe meine Augen, lege eine Hand auf meinen Körper und achte auf meinen Atem.
Jetzt gehe Ich gedanklich zurück in die Situation, die ich ver-„innern“ möchte. Ich stelle mir das Geschehen möglichst genau vor:
- Was habe ich gesehen? (Gegenstände, Farben, Menschen, Bewegungen…..)
- Was habe ich gehört?
- An welche Gerüche kann ich mich erinnern?
- Was habe ich gespürt, geschmeckt?
- Was hat mich berührt?
Ich tauche noch einmal ganz in die Situation ein, verankere sie in mir und kann sie später auf gleiche Weise wieder lebendig werden lassen
Guten Tag
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