Die "Legenda aurea", die "Goldene Legende" war das populärste und am weitesten verbreitete religiöse Volksbuch des Mittelalters, weit mehr gelesen als die Bibel, zwischen 1263 und 1273 durch den späteren Erzbischof von Genua, den Dominikanermönch Jacobus de Voragine, entstanden. Er verfasste eine Sammlung der Lebensgeschichten von Heiligen, wobei er vielfältiges Quellenmaterial benutzte wie die Bibel, Passionalien, apokryphe Evangelien, Apostel- und Märtyrerakten, sowie die in Klöstern und im Volk überlieferte Geschichten. In volkstümlicher und zugleich kunstvoll-dichterischer lateinischer Sprache erzählte er das Leben Jesu und der Heiligen und leitete moralische Nutzanwendungen ab. In diesem Zusammenhang finden sich auch Legenden über den Apostel Jakobus und über die Jakobspilgerei in diesem Buch. Die Legenda aurea ist eines der ältesten Textzeugnisse über die Jakobspilgerei des Mittelalters.

 
Von Sanct Jacobus dem Grossen
Jakobus der Apostel war genannt Jacobus
Zebedaei; Jacobus Bruder des Johannes;
Boanerges, das ist: Sohn des Donners; und
Jacobus maior. Er heisst Zebedaei Sohn nicht
nur dem Fleische nach, sondern auch um der
Bedeutung dieses Namens willen; denn
Zebedaeus ist verdolmetscht einer der giebt,
oder einer der gegeben wird; Sanct Jacobus
aber gab sich selbst Gott in seiner Marter, und
ward uns von Gott gegeben zu einem
geistlichen Schutzherren. Er heisst Bruder des
Johannes, weil er nicht nur des Johannes
leiblicher Bruder war, sondern weil er ihm auch
gleich war in seinen Sitten; denn sie waren
beide von dem gleichen Eifer, von der gleichen
Begierde des Lernens, und begehrten die
gleiche Verheissung vom Herrn. Sie hatten
beide denselben Eifer, den Herrn zu rächen;
denn da die Samaritaner Christum nicht wollten
aufnehmen, sprachen Jacobus und Johannes
‘Herr, willst du, so sprechen wir, dass Feuer
vom Himmel falle und sie verzehre’. Sie hatten
dieselbe Begierde der Erkenntnis, denn sie
waren es sonderlich, die Christum fragten über
den Tag des Gerichts und die andern künftigen
Dinge. Sie begehrten die gleiche Verheissung
vom Herrn, da sie ihn baten, dass er sie zu
seiner Rechten und zu seiner Linken lasse
sitzen in seiner Herrlichkeit. Jacobus ist auch
Sohn des Donners genannt von der Gewalt
seiner tönenden Predigt, damit er die Bösen
erschreckte, die Trägen aufweckte und alle zur
Bewunderung zwang durch ihre grosse Tiefe. So
spricht auch Beda von Johannes, dass er so
mächtig sprach: hätte er nur ein weniges mehr
erdonnert, so hätte die ganze Welt ihn nicht
mögen fassen. Dieser Jacobus heisst auch der
Grosse, wie der andre Jacobus der Kleine ist
genannt. Erstlich wegen seiner Berufung, denn
er ward früher von Christo berufen. Zum andern
wegen seiner sonderlichen Vertrautheit mit dem
Herrn; denn es scheint, dass er Christo
vertrauter war denn der andere Jacobus; das
sehen wir daraus, dass der Herr ihn zulies zu
seiner Heimlichkeit, als zu der Erweckung des
Mägdleins, und zu seiner Verklärung. Zum
dirtten wegen seines Leidens, denn er erlitt
zuerst von den Aposteln das Martyrium. Denn
so er grösser genannt ist als der andere
Jacobus, weil er eher zu dem Apostolat ward
berufen, so mag er auch grösser als jener
genannt sein, weil er eher zu Glorie des ewigen
Lebens ward berufen.

Jakobus, der Apostel, des Zebedaeus Sohn,
predigte nach der Himmelfahrt des Herrn
durch Judaea und Samaria, und ging danach gen
Spanien, das Wort Gottes auszusäen. Aber da
er sah, dass er nichts ausrichtete und nicht
mehr denn neun Jünger daselbst erwarb, so
liess er zwei von ihnen daselbst zurück, um zu
predigen, die anderen sieben nahm er mit sich
und kehrte wieder gen Judaea. Meister Beleth
schreibt sogar, dass er nur einen Menschen
daselbst bekehrte. Da er nun in Judaea das
Wort Gottes predigte, sandte ein Zauberer,
Hermogenes mit Namen, seinen Jünger Philetus
zu ihm mit etlichen Pharisäern, der sollte ihn vor
allen Juden überführen, dass er Lügen predige.
Aber der Apostel überwand ihn vor allem Volk
mit Gründen der Vernunft und tat viele Wunder
vor seinen Augen; da kehrte Philetus wieder zu
Hermogenes und sagte ihm, welche Wunder
Jacobus hätte getan, und dass er seine Lehre
wolle halten und sein Jünger werden; und riet
seinem Meister, dass er dasselbe sollte tun. Da
ward Hermogenes zornig und machte ihn mit
seiner Kunst unbeweglich, also dass er sich
nicht mehr rühren mochte, und sprach ‘Nun
wollen wir sehen, ob dein Jacobus dich löse’.
Philetus liess seine Not dem Jacobus durch
seinen Knecht sagen, da sandte der Apostel
ihm sein Schweisstuch und entbot ihm ‘Er soll
das Tuch nehmen und sprechen: der Herr richtet
die Zerschlagenen auf und löst die
Gebundenen’. Alsbald Philetus das
Schweisstuch hatte berührt, ward er von dem
Bann los, und spottete der Zauberkünste des
Hermogenes und eilte zu Jacobus. Da ward
Hermogenes zornig, rief seine Geister herbei
und gebot ihnen, Jacobus samt Philetus
gefesselt vor ihn zu bringen, dass er sich an
ihnen räche und seine Schüler fürder nicht ihn
also möchten verspotten. Die Geister kamen zu
Jacobus und huben an in der Luft zu heulen und
sprachen ‘Jacobe, heiliger Apostel, erbarme
dich unser, denn siehe , wir brennen vor unsrer
Zeit’. Jacobus sprach ‘Warum seid ihr zu mir
gekommen?’
Sie antworteten ‘Hermogenes sendet uns, dass
wir dich und Philetum zu ihm sollten bringen;
aber alsbald wir zu dir kamen, war der Engel
Gottes da und band uns mit feurigen Ketten und
peinigte uns sehr’. Jacobus sprach ‘Der Engel
des Herrn gebe euch los, kehret zu ihm zurück
und bringt ihn selbst gefesselt her vor mich,
doch tut ihn nichts zu leid’. Da fuhren sie hin,
packten Hermogenes, banden ihm die Hände
auf den Rücken und brachten ihn also gefesselt
vor Jacobus und sprachen zu ihm ‘Du hast uns
dahin gesandt, da wir gebrannt wurden und
gepeinigt’. Und zu Jacobus sprachen sie ‘Gib
uns Gewalt über ihn, dass wir die Bosheit
rächen, die er dir hat getan, und das Feuer, das
wir gelitten haben’. Sprach Jacobus ‘Sehet, da
steht Philetus vor euch, warum greifet ihr diesen
nicht?’ Sie antworteten ‘Wir können auch nicht
die Ameise anrühren, die in deiner Kammer ist’.
Sprach Jacobus zu Phileto ‘Lass uns Böses mit
Gutem vergelten, wie der Herr es geboten hat:
Hermogenes hat dich gebunden, so mache du
ihn frei’. Also ward Hermogenes der Fesseln
entledigt und stund da mit grosser Scham.
Sprach zu ihm Jacobus ‘Geh frei, wohin du
willst, denn es ist unser Brauch nicht, dass wir
einen wider seinen Willen bekehren’. Sprach
Hermogenes ‘Ich kenne den Zorn der bösen
Geister, gibst du mir nicht etwas von dir, das
ich bei mir möge tragen, so werden sie mich
töten’. Da gab ihm Jacobus seinen Stab, und er
ging hin und brachte alle seine Zauberbücher vor
den Apostel, dass er sie verbrenne. Doch
Jacobus wollte nicht, dass jemand durch den
Gestank des Brandes würde geschädigt, darum
hiess er ihn die Bücher alle ins Meer werfen. Als
Hrmogenes das getan hatte, kam er wieder zu
dem Apostel, umfasste seine Füsse und sprach
‘Retter der Seelen, empfange die Busse des,
des Neid und Schmähung dich bis jetzt hat
verfolgt’. Also hub er an und ward so
vollkommen in Gottes Furcht, dass viel Zeichen
durch ihn geschahen. Da die Juden sahen, dass
Hermogenes bekehrt war, gingen sie voll Hass
zu Jacobus und straften ihn, dass er den
gekreuzigten Jesum predige. Er aber bewährte
ihnen aus der Schrift Christi Geburt und Leiden
gar klärlich; davon wurden viele gläubig. Abiathar
aber, der Hohepriester des Jahres, machte
einen Aufstand unter dem Volk und liess dem
Jacobus ein Seil um seinen Hals legen und ihn
vor Herodes Agrippa führen. Der gebot, dass
man ihn enthaupten sollte. Da er nun zur
Richtstätte geführt ward, lag da ein Lahmer am
Wege, der rief Sanct Jacobum an, dass er ihn
gesund mache. Da sprach der Apostel ‘Im
Namen Jesu Christi, für den ich nun zum Tode
werde geführet, stehe gesund auf und lobe
deinen Schöpfer’. Alsbald stund der Lahme
gesund auf und lobte Gott. Als das ein
Schriftgelehrter sah, Josias mit Namen, der das
Seil um Jacobi Hals hatte gelegt und ihn führte,
warf er sich ihm zu Füssen bat ihn um
Verzeihung und begehrte ein Christ zu werden.
Abiathar liess ihn greifen, als er das sah, und
sprach zu ihm ‘So du nicht auf den Namen
Christi fluchest, so lasse ich dich mit diesem
Jacobus enthaupen’. Josias antwortete
‘Verflucht seist du und alle deine Tage, der
Name unsres Herrn Jesu Christi aber sei gelobt
in Ewigkeit’. Da liess Abiathar ihm seinen Mund
mit Fäusten schlagen. Und sandte Boten zu
Herodes, und gebot, dass man ihn mit Jacobus
enthaupte. Da sie nun beide sollten enthauptet
werden, bat Jacobus den Henker um eine
Flasche mit Wasser, daraus taufte er den
Josias. Darnach wurden ihnen ihre Häupter
abgeschlagen, und also erlitten sie zusammen
das Martyrium.

Es war aber am 25.März, dass Sanct Jacobus
enthauptet ward, am Tag der Verkündigung des
Herrn. Am 25.Juli ward er überführt nach
Compostella, am 30.Dezember ward er
bestattet. Weil aber der Bau seines Grabmals
vom August bis zum Januar verzogen ward, so
setzte die Kirche auf, dass sein Tag am 25.Juli,
als zu besserer Zeit, allenthalben würde gefeiert.

Nun erzählt Johannes Beleth, der diese
Überführung mit Fleiss beschrieben hat, dass
nach Jacobi Enthauptung seine Jünger den
Leichnam aus Furcht vor den Juden heimlich bei
Nacht nahmen, und taten ihn auf ein Schiff und
empfahlen die Bestattung ganz und gar Gottes
Weisheit; und stiegen dazu und steuerten nicht,
sonder der Engel des Herrn geleitete sie gen
Galicien, daselbst landeten sie in dem Reiche
der Lupa; denn es war in Hispanien eine
Königin, also genannt mit Namen und von
Verdienst ihres Lebens wegen; denn Lupa ist
gesprochen eine Wölfin. Sie trugen den
Leichnam aus dem Schiff und legten ihn auf
einen grossen Stein. Aber siehe, der Stein gab
dem Leichnam nach wie Wachs und formte sich
gar wunderbarlich zu einem Sarg. Die Jünger
aber gingen hinein zur Königin und sprachen
‘Unser Herr Jesus Chrisuts sendet dir den
Leichnam seines Jüngers, dass du ihn tot
empfahest, den du lebendig nicht wolltest
leiden’. Und erzählten ihr das Wunder, wie sie
ohne Steuer zu dem Lande seien geführt, und
baten um einen würdigen Ort, den Leichnam zu
bestatten. Als die Königin das vernahm, sandte
sie die Jünger, als derselbe Meister Johannes
Beleth schreibet, in grosser Tücke zu einem gar
grausamen Menschen, oder, wie andere sagen,
zu dem König von Hispanien, dass sie seinen
Rat in der Sache hören möchten; der liess sie
greifen und ins Gefängnis werfen. Aber dieweil
er bei Tische sass, tat ihnen der Engel des
Herrn des Kerkers Tür auf und hiess sie frei von
hinnen gehen. Als das der König vernahm,
sandte er alsbald seine Kriegsknechte hinter
ihnen drein, sie zu fangen. Aber da die
Kriegsknechte über eine Brücke kamen, brach
die Brücke, und sie ertranken alle im Fluss. Da
kam Reue über den König, und er fürchtete für
sich und die Seinen. Darum sandte er Boten zu
ihnen und bat sie, dass sie möchten umkehren,
er möchte ihnen alles geben, was sie
begehrten. Also kamen sie wieder zu ihm und
bekehrten das Volk der Stadt zum
Christenglauben. Da die Königin Lupa solches
vernahm, betrübte sie sich sehr; und da die
Jünger wieder zu ihr kamen und taten ihr des
Königs Willen kund, sprach sie zu ihnen ‘Gehet
hin und nehmet von meinen Rindern, die ich auf
jenem Berge habe, und schirret damit den
Wagen, so mögt ihr den Leichnam eures Herrn
herführen, und ihm die Stätte bereiten, die ihr
wollt’. Das sagte die Wölfin mit wölfischer
Tücke, denn sie wusste wohl, dass diese Rinder
ungezähmte wilde Stiere waren, und dachte
nicht anders, denn dass diese Stiere sich nicht
würden lassen fangen noch anschirren, oder
wann es geschähe, so würden sie mit Hin- und
Widerrennen den Wagen zerbrechen, den
Leichnam herab werfen und die Jünger töten.
Aber es vermag keine Klugheit wider den Herrn.
Denn siehe, die Jünger gingen ohne Wissen um
des Weibes List den Berg hinan; da fanden sie
einen Drachen, der spie Feuer und fuhr wider
sie. Sie aber machten das Kreuzzeichen, da
barst ihm sein Leib mitten durch. Auch über den
Stieren machten sie das Kreuz; da kamen sie
herbei zahm wie die Lämmer; und die Jünger
spannten sie an und legten den Leichnam
mitsamt dem Stein, darauf er ruhte, auf den
Wagen, und die Stiere zogen ihn von selbst ohn
eines Menschen Führung mitten in den Palast
der Lupa. Die erschrak, als sie das sah, und
ward davon bekehrt und empfing
Christenglauben. Und gab den Jüngern alles,
was sie begehrten, weihete ihren Palast in
Sanct Jacobi Kirche und begabte die Kirche gar
köstlich; und beschloss ihr Leben in guten
Werken.
Es war ein Mann im Bistum zu Modena,
Bernardus mit Namen, der war gefangen und lag
gefesselt in einem tiefen Turm; und rief ohn
Unterlass Sanct Jacobum an. Da erschien ihm
der Heilige und sprach ‘Steh auf und folge mir
gen Galicia’. Alsbald waren seine Ketten
zerbrochen, der Heilige aber war verschwunden.
Also hing der Mensch die Ketten um seinen
Hals, stieg auf die Höhe des Turmes und sprang
mit einem Sprung hinab ohn allen Schaden, da
doch der Turm sechzig Ellen hoch war.

Beda erzählt dass einer zu etlichen Malen eine
grosse Sünde hatte getan, und der Bischof
trauete sich nicht, ihm Ablass zu geben. Darum
sandte er ihn mit einem Zettel, darauf die Sünde
geschrieben stund, nach Sanct Jacobs Kirche.
Am Feste des Heiligen legte der Mensch den
Zettel auf den Altar und bat Sanct Jacob, dass
er durch sein Verdienst die Sünde tilge.
Darnach nahm er das Blatt wieder und fand die
Sünde abgetilgt; und dankte Sanct Jacob und
tat die Geschichte öffentlich kund.

Dreissig Männer vom Lande Lotharingia
pilgerten um das Jahr des Herrn 1070, als
Hubertus von Besançon schreibet, nach Sanct
Jacob, und schwuren bis auf einen einander
Treue und Hilfe in allen Dingen. Da nun einer von
ihnen krank ward, blieben seine Gesellen
fünfzehn Tage bei ihm, zuletzt aber liessen sie
ihn liegen; und nur der eine, der nicht mit Treue
hatte geschworen, blieb bei ihm und bewachte
ihn am Fusse des Berges Sanct Michael; aber
da es Abend ward, starb der Kranke. Da war der
Überlebende gar sehr in Furcht von der
Einsamkeit des Ortes, von der Nähe des Toten,
von der drohenden Dunkelheit der Nacht und von
der Wildheit des barbarischen Volkes. Aber
siehe, da erschien ihm Sanct Jacobus in eines
Reiters Gestalt, tröstete ihn und sprach ‘Gieb
mir den Toten und setze dich hinter mich auf
mein Ross’. Also ritten sie die Nacht fünfzehn
Tagreisen weit und kamen noch vor
Sonnenaufgang zu dem Berg der Freuden, der
ist eine halbe Meile von Sanct Jacob; da setzte
der Heilige sie beide ab und gebot dem Pilger,
dass er die Canonici von Sanct Jacob zur
Bestattung des toten Pilgerims riefe; seinen
Gesellen aber sollte er sagen, dass die
Wallfahrt nichts gelte, weil sie ihr Gelübde
hätten gebrochen. Der Mensch erfüllte das
Gebot, und erzählte seinen Gefährten, die sich
seiner Reise gar sehr verwunderten, was Sanct
Jacobus ihm hatte gesagt.

Calixtus der Papst erzählt, dass im Jahre 1020
ein Deutscher mit seinem Sohn zu Sanct Jacob
wollte wallfahren. Als er in der Stadt Toulouse
musste Herberg nehmen, machte der Wirt ihn
trunken und versteckte einen silbernen Becher
in seinem Mantelsack. Da sie nun des Morgens
fürbass zogen, lief der Wirt ihnen nach und hielt
sie wie Räuber fest, und schuldigte sie, dass
sie seinen silbernen Becher hätten gestohlen.
Sie sprachen, dass er sie möge zur Strafe
ziehen, so der Becher sich bei ihnen fände. Und
da man den Mantelsack auftat, fand sich der
Becher, und sie wurden alsbald vor den Richter
geschleppt, da ward das Urteil gegeben, dass
alle ihre Habe dem Wirt verbliebe und einer von
ihnen werde gehenkt. Der Vater wollte für den
Sohn sterben, der Sohn für den Vater; zuletzt
ward der Sohn gehenkt, und der Vater zog gen
Sanct Jacob weiter mit grossem Trauern. Über
sechsunddreissig Tage so kam er wieder und
verweilte bei dem Galgen, da noch der Leib
seines Sohnes hing, und klagte über ihn gar
jämmerlich. Aber siehe, da hub der Sohn an zu
sprechen und tröstete ihn ‘Liebster Vater, weine
nicht, denn mir war nie so wohl: wisse, Sanct
Jacob hat mich bis zu dieser Stunde gehalten
und mich erquicket mit himmlischer Süssigkeit’.
Als der Vater das hörte, lief er eilens in die
Stadt; und das Volk kam mit ihm heraus,
nahmen den Sohn vom Galgen, der war gar
unversehrt, und henkten den Wirt an seine
Statt.

Es erzählt Hugo von Sanct Victor, dass einem
Pilger, der auf dem Wege zu Sanct Jacob war,
der Teufel in des Heiligen Gestalt erschien. Er
sprach ihm mancherlei von dem Elend des
gegenwärtigen Lebens und verhiess ihm, dass
er selig würde sein, wenn er sich zu seiner Ehre
wolle töten. Alsbald zog der Pilger sein Schwert
und erstach sich. Nun ward der Mann, in des
Hause der Pilger zu Herberg war, des Mordes
verdächtig, und war in grossen Sorgen, dass er
sterben müsse. Da war der Tote plötzlich wieder
lebendig und erzählte, dass der Teufel, der ihm
den Tod habe geraten, ihn schon zur Höllenpein
wollte führen: da erschien Sanct Jacob und
entriss ihn dem Teufel und führte ihn vor den
Thron des Richters. Und ob die Teufel gleich
wider ihn klagten, erlangte Sanct Jacob doch,
dass er dem Leben ward wiedergegeben.

Hugo der Abt von Cluny erzählt, dass ein
Jüngling von der Mark Lyon oftmals mit grosser
Andacht nach Sanct Jacob pilgerte. Einstmals,
da er auch dahin wollte gehen, fiel er in
derselben Nacht in Unkeuschheit. Da er fürder
zog, erschien ihm eines Nachts der Teufel in
Sanct Jacobs Gestalt und sprach ‘Weißt du,
wer ich bin?’ Er antwortete, er wüsste es nicht.
Sprach der Teufel ‘Ich bin Jacobus der Apostel,
zu dem du bisher jeglich Jahr bist gefahren.
Wisse, ich hatte grosse Freude an deiner
Andacht; doch diesmal bist du in Unzucht
gefallen, da du aus deinem Hause gingst, und
hast es nicht gebeichtet, sondern wagst also
dich mir zu nahen, als möchte deine Wallfahrt
Gott und mir wohlgefällig sein. Das ist nicht
ziemlich, denn wer zu mir pilgern will, muss
zuvor seine Sünden beichten und sie darnach
durch die Wallfahrt büssen’. Nach diesen
Worten verschwand der Teufel. Davon erschrak
der Jüngling gar sehr und beschloss in seinem
Herzen, dass er wieder nach Hause wollte
kehren und seine Sünde beichten, und darnach
die Fahrt von neuem beginnen. Aber siehe, der
Teufel erschien ihm abermals in der Gestalt des
Apostels und riet ihm ab von seinem Vorsatz,
und sprach: die Sünde würde ihm nimmermehr
vergeben, er schnitte sich denn sein Geschlecht
ab; besser noch werde er fahren, so er sich töte
und ein Märtyrer wolle sein für seinen Namen.
Des Nachts, da die andern Gesellen schliefen,
nahm der Jüngling sein Schwert, schnitt sich
sein Geschlecht ab und stiess sich darnach
das Schwert durch den Leib. Als seine
Gefährten erwachten und das sahen, flohen sie,
denn sie fürchteten, man möchte ihnen diesen
Mord zur Schuld geben. Als dem Toten nun das
Grab bereitet wurde, war er plötzlich wieder
lebendig; da erschraken sie allesamt und
wollten fliehen, er aber erzählte ihnen, was ihm
geschehen war, und sprach ‘Da ich mich auf
des Teufels Rat hatte getötet, kamen die bösen
Geister, packten mich und führten mich gen
Rom; aber siehe, da fuhr Sanct Jacobus hinter
uns drein und schalt die Teufel um ihre Arglist.
Sie stritten lange hin und her; zuletzt brachte
Sanct Jacobus uns auf eine Wiese, da sass die
heilige Jungfrau mit vielen Heiligen im Gespräch.
Er bat bei ihr für mich, da schalt sie die Teufel
gar sehr und gebot, dass ich wieder zum Leben
würde erwecket; und Sanct Jacobus nahm
meine Seele und führte sie wieder in den Leib,
als ihr sehet’. Nach drei Tagen, da nur noch die
Narben der Wunden an ihm zu sehen waren,
machte der Jüngling sich wieder auf den Weg,
holte seine Gefährten ein und erzählte ihnen
alles, was ihm geschehen war.

Ein Mann von Frankreich ging um das Jahr
1100 auf die Fahrt gen Sanct Jacob, mitsamt
seiner Frau und seinen Kindern; denn er wollte
ein grosses Sterben fliehen, das zu der Zeit in
Frankreich war, und wollte auch Sanct Jacob
besuchen. Als er kam zu der Stadt Pampelona,
starb ihm sein Weib, und der Wirt nahm ihm all
sein Geld und das Lasttier, darauf er seine
Kinder führte. Also musste der arme Pilger
traurig fürbass ziehen, und etliche Kinder trug er
auf seinen Schultern, etliche führte er an seiner
Hand. Also begegnete ihm ein Mann mit einem
Esel, der hatte Mitleid mit ihm und lieh ihm den
Esel, dass er die Kinder darauf führe. Da er nun
zu Sanct Jacob gekommen war und im Gebet
wachte, erschien ihm der Apostel und sprach
‘Kennst du mich nicht?’ Der Pilger antwortete,
er wüsste nicht, wer er wäre. Da sprach der
Heilige ‘Ich bin der Apostel Jacobus und habe
dir meinen Esel geliehen, und leihe ihn dir
abermals, damit du heimkehren magst; doch
sollst du allbereits wissen, dass der böse Wirt
von seinem Söller sich wird zu Tod fallen und dir
alles soll wieder werden, das er dir hat
genommen’. Es geschah alles, wie er gesagt
hatte und der Pilger zog fröhlich heim. Und da er
die Kinder von dem Esel nahm, war der Esel
alsbald verschwunden.

Ein Kaufmann war von einem Tyrannen wider
das Recht beraubt und in das Gefängnis
geworfen worden. Da rief er Sanct Jacob um
Hilfe an mit ganzer Andacht. Und Sanct Jacob
erschien ihm, ob die Wächter gleich wachten,
und führte ihn oben auf den Turm. Da neigte der
Turm sich also, dass seine Spitze der Erde
gleich ward, und der Kaufmann konnte ohn
einen Sprung herabsteigen und ging frei von
dannen. Die Wächter wollten ihn verfolgen; aber
ob sie gleich neben ihm liefen, mochten ihre
Augen ihn doch nicht sehen.

Es geschah, dass drei Ritter aus der Diöcese
Lyon zu Sanct Jacob pilgerten. Auf dem Wege
nahm der eine von ihnen um Sanct Jacobs
willen den Sack eines alten Weibes, das ihn
darum bat, mit auf sein Pferd. Darnach sah er
einen Kranken halb tot am Wege liegen; da
stieg er ab, setzte den Kranken auf sein Pferd,
nahm den Sack des Weibes und den Stab des
Kranken auf den Rücken und ging also neben
dem Pferd. Aber da sie gen Galicia kamen,
brach er von der Hitze der Sonne und der Mühe
des Weges zusammen und fiel in eine schwere
Krankheit. Seine Freunde fragten ihn, wie es um
das Heil seiner Seele stünde; aber er blieb drei
Tage stumm. Am vierten Tage, da die Freunde
seines Todes warteten, erseufzte er tief und
sprach ‘Dank sei Gott und Sanct Jacob, durch
des Verdienst ich erlöst bin. Denn wisset, als
ich wollte tun, des ihr mich mahntet, da kamen
die Teufel zu mir und würgten mich also sehr,
dass ich nichts mochte reden, meine Seele zu
retten. Ich hörte euch wohl, doch ich konnte
nicht antworten. Darnach aber erschien Sanct
Jacobus, in seiner Linken trug er den Sack des
Weibes, in seiner Rechten den Stab des
Bettlers, denen ich beiden unterwegs hatte
geholfen; und hielt den Stab wie einen Speer und
den Sack wie einen Schild vor sich und fuhr
damit als im Zorn wider die bösen Geister; die
erschraken vor dem aufgehobenen Stab und
flohen. Also hat mich Sanct Jacobs Gnade
erlöst und mir die Sprache wiedergegeben. Nun
ruft den Priester, denn ich mag nicht mehr lange
in diesem Leben sein’. Und wandte sich zu dem
einen seiner Gesellen und sprach zu ihm
‘Freund, diene deinem Kriegsherrn nicht fürder,
denn er ist wahrlich verdammt und wird bald
eines bösen Todes sterben’. Als der Ritter
begraben war, ging der Geselle hin und sagte
das seinem Herrn. Der aber achtete des nicht,
und wollte sich nicht bessern; da ward er
kürzlich darnach im Streite von einer Lanze
durchbohrt und starb.

Calixtus der Papst erzählt, dass ein Mann von
Vezelay auf der Wallfahrt zu Sanct Jacob war
ohne Geld; doch schämte er sich zu betteln.
Als er nun unter einem Baume ruhte, träumte
ihm, Sanct Jacob führe ihn auf die Weide. Da er
erwachte, fand er ein Brot, das in Asche
gebacken, zu seinen Häupten liegen. Davon
lebte er fünfzehn Tage, bis er wieder heim kam;
und jegliches Tages ass er sich zweimal von
dem Brote satt und fand es doch des andern
Tages immer wieder ganz in seiner Tasche.

Calixtus der Papst erzählt auch, dass ein
Bürger von der Stadt Barcellona um das Jahr
1100 zu Sanct Jacob kam und nichts anderes
von ihm begehrte, denn dass ihn hinfort kein
Feind möge fangen. Da er nun heimfuhr über
Sicilien, ward er von den Saracenen gefangen
und etliche Male von ihnen auf dem Markte
verkauft; aber immer fielen die Ketten von ihm,
mit denen man ihn band. Nun war er schon
dreizehnmal verkauft und ward mit doppelten
Ketten gefesselt, da rief er Sanct Jacob an; und
der Apostel erschien ihm und sprach ‘Weil du in
meiner Kirche leibliche Freiheit begehrt und das
Heil der Seele hast vergessen, darum bist du in
diese Fährlichkeit kommen; aber der Herr ist
barmherzig, darum sendet er mich zu dir, dass
ich dich erlöse’. Alsbald sprangen die Ketten
und der Mann ging frei durch die Lande und
Burgen der Saracenen heim in sein Land und
trug zum Zeichen des Wunders noch einen Teil
der Kette mit sich, und alle verwunderten sich,
die ihn sahen. Aber so jemand ihn fangen
wollte, musste er beim Anblick der Kette
alsbald erschreckt von dannen fliehen. Als er
durch die Wüste wanderte, wollten Löwen und
andere wilde Tiere sich auf ihn stürzen, aber da
sie die Kette sahen, fuhr solche Furcht in sie,
dass sie sich alsbald zur Flucht wandten. •

Im Jahre 1238 geschah es an Jacobi Abend
auf der Burg Prato zwischen Florenz und
Postoja, dass ein Jüngling in bäuerischer Einfalt
Feuer an das Korn seines Vormunds legte, aus
Rache dafür, dass derselbige ihn um sein
Erbteil wollte bringen. Er ward darüber ergriffen,
gestand seine Tat und ward verurteilt, einem
Pferde an den Schweif gebunden und darnach
verbrannt zu werden. Er beichtete und befahl
sich in Sanct Jacobs Hut; und ob er gleich nur
mit einem Hemd bekleidet über felsigen Boden
geschleift ward, blieb er doch unversehrt, und
war auch an seinem Hemd kein Schaden zu
sehen. Darnach ward er an den Pfahl gebunden
und ward Holz rings um ihn geschichtet: das
Holz und die Fesseln verbrannten; ihm selbst
aber, der ohn Unterlass Sanct Jacob anrief, tat
das Feuer keinen Schaden. Als man ihn zum
andern Male ins Feuer wollte werfen, riss ihn
das Volk heraus und pries Gott laut in seinem
Apostel.


Quellenangabe:
Ist im Verlag Lambert Schneider in Heidelberg erschienen.
Für weitere Hinweise sind wir dankbar.

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